Book fates encoded in letters
A glance at the private libraries of Transylvanian Saxon citizens (1550–1650)
DOI:
https://doi.org/10.15170/PAAA.2018.05.01.01Keywords:
cultural history, history of books, library history, book culture, ex libris, Transylvania, Transylvanian Saxons, Paulus KerziusAbstract
Bücherschicksale in Buchstaben kodiert. Einblicke in die Privatbibliotheken des siebenbürgischsächsischen Bürgertums (1550–1650)
In der skizzenhaften Vorstellung der siebenbürgisch-sächsischen bürgerlichen Privatbüchersammlungen in der zweiten Hälfte des Reformations- und der ersten Hälfte des darauffolgenden Jahrhunderts haben wir auf Grund einiger Beispiele gesehen, dass das Buch in einer politischen und wirtschaftlichen Blütezeit der bürgerlichen Kultur bei den Sachsen ein alltägliches Gebrauchsgegenstand war. Das Buch wurde sowohl zur Erfüllung der Berufsarbeit und zur seelischen Erbauung als auch zur Pastoraltätigkeit unter den Gläubigen bzw. zum gemeinsamen Lesen als vernünftiger Zeitvertreiber oder amüsante Lektüre anlässlich freundschaftlicher Zusammenkünfte (eventuell mit humanistisch-wissenschaftlichem Charakter) gebraucht. In Siebenbürgen sind bedeutende Büchersammlungen mit großen Altbücherbeständen aus der frühen Neuzeit erhalten geblieben und die Forschung kennt auch sehr viele bürgerliche Teilungsprotokolle, die uns etwas vom Vorhandensein einiger Bücher oder sogar maßgebender Privatbüchereien verraten. Bei den Rekonstruktionsarbeiten – zur Zeit in Kronstadt – kommen immer mehr Drucke ans Tageslicht, die uns über das Schicksal der einzelnen Bücher und auf indirektem Wege vom geistigen Milieu der einstigen Besitzer Aufschluss erteilen.
Aus den vorgeführten Beispielen stellte es sich hoffentlich heraus, dass die Bücher in Siebenbürgen öfters von mehreren Personen, meist Stadtbürgern, und lange Zeit (oft Jahrhunderte hindurch) benutzt und abgenutzt worden waren. Die vielen handschriftlichen Einträge und Marginalien auf den Blättern der Drucke machen die Bücher – im Gegensatz zu den „sterilen” Bänden in riesigen west-, süd- und nordeuropäischen Bibliotheken gleicher Art oder manchmal auch zu den Büchereien der siebenbürgisch-sächsischen Patrizier – „freundlich”, die man gerne in die Hand nimmt. Diese Bücher leben nämlich wirklich. Sie erzählen viel und haben auch manches zu sagen. Sie vermehren unsere Kenntnisse über die allgemeine Kultur und Rezeption der unterschiedlichen geistigen Strömungen auf deutschem Boden in Siebenbürgen. Sie können öfters den Forschern anderer Wissenschaftszweige außer Buchgeschichte einen inhaltreichen und benutzbaren Beitrag leisten.
Als wir den Wegen der Bücher anhand Possessoreinträge, die Beispiele von Hunderten relevanter Drucken aus der genannten Zeitperiode einfach nach Belieben ausgewählt und herausgegriffen, gefolgt haben, stießen wir auf Tendenzen, die in der Zukunft noch näher und gründlicher untersucht werden sollte. Dabei wurde klar, dass es unter den Texten und Verfassern auch in der frühen Neuzeit frequentiertere und wenig beliebte gab, was ein ganz normales und bekanntes Phänomen ist. Das kann man aber jetzt auch von der Seite des Gebrauchs beweisen. Die häufige Gegenwart der Werke Melanchthons oder seiner Schüler bzw. Anhänger sagt beispielsweise von der versöhnenden philippistischen Einstellung der Pfarrer siebenbürgisch-sächsischer Herkunft viel aus. Die Besitzer der vorgestellten Bücher entstammen fast ohne Ausnahme der geschulten Bürger- oder Patrizierschicht. Sie besuchten im Allgemeinen Universitäten im Ausland, waren also Teilnehmer der sog. peregrinatio academica, dienten als weltliche oder kirchliche Würdenträger in ihrer Heimat, fungierten meist als Lehrer, Pfarrer und Prediger oder Mitglieder der Stadtverwaltung unter ihren Landsleuten. Sie brachten Bücher mit nach Hause und stellten sie in bestimmten Fällen seinen Freunden, Verwandten oder Mitmenschen zur Verfügung. Lesegruppen solcher Art beschäftigten sich oft mit Werken ausgezeichneter, im eigenen gesellschaftlichen Milieu präferierten, daher da populärer Verfasser wie z. B. Erasmus oder antiker Autoren und nur sehr selten (fast nie) Werke heimischer Autoren bzw. in ungarländischen Typographien gefertigten Drucke. (Ob es einen Zusammenhang zwischen der beiden Erscheinungen gibt, kann ich im Moment nicht beantworten.) Sie lasen also leicht verständliche Texte, neigten rein theoretischer oder hochtheologischer Schriften nicht zu. Sie lasen, was ihnen Freude und Vergnügen bat. In dieser Hinsicht mögen sie intellektuelle Hedonisten im edelsten Sinne des Wortes gewesen sein.
Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass es sehr fruchtbringend wäre, die Erschließung, Bearbeitung und Bewertung des Exlibris und Supralibros in alten Büchern aus der frühen Neuzeit möglichst intensiv fortgesetzt zu werden. Die sporadischen Unternehmungen auf diesem Gebiet in europäischen Fachkreisen gelten zur Zeit noch unausreichend. Exlibris- und Supralibros-Forschung stellen in der Buchgeschichte immer noch ein Desiderat dar. Hoffentlich wächst eine neue Forschergeneration als Nachwuchs auf, deren Mitglieder sich den Erschließungsarbeiten der heutigen wenigen Buchhistoriker anschließen können und wollen, um die kulturelle Vernetzung in Europa und in den kleineren Regionen im 16. und 17. Jahrhundert besser kennen lernen und interpretieren zu können.
Photo: pexels.com
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